Osteosarkom im Unterkiefer: Sophia's persönlicher Marathon
Liebe Sophia, du hast ein sehr besonderes Knochensarkom, obendrein an einer sehr
besonderen Körperstelle: Ein Osteosarkom im Unterkiefer. Wie haben sich die ersten
Anzeichen geäußert und wie viel Zeit verging, bis Du die endgültige Diagnose erhalten hast?
Am Anfang verlief alles noch ganz harmlos – Zuerst ist mir im Februar 2023 eine kleine Schwellung
unterhalb des Kiefers aufgefallen, als ich daran entlang gefahren bin. Da gerade erst Erkältungszeit
war, habe ich mir nicht viel dabei gedacht und es für einen geschwollenen Lymphknoten gehalten.
Mir ist zeitgleich aber auch aufgefallen, dass meine rechte Unterlippe taub geworden ist, allerdings
habe ich mich davon erstmal nicht verrückt machen lassen. Eine Woche später, Anfang März, hatte
ich sowieso einen Zahnarzttermin und habe es dort angesprochen. Dort wurde festgestellt, dass der
hintere Backenzahn locker war - die erste Vermutung: ein Weisheitszahn, der auf den Zahn davor
drücken könnte. Für eine Bildgebung wurde ich an die Oralchirurgie weiter verwiesen, da momentan
das Röntgengerät kaputt war. Ende April hat sich dort herausgestellt, dass unter dem letzten
Backenzahn eine Raumforderung zu sehen ist, die die Probleme bereitet - nun wurde eine Zyste
vermutet. Dass wir den Zahn und das darunterliegende Gewebe entfernen müssen stand schnell fest,
den Termin dafür hatte ich dann im Mai. In dem Zeitraum ist die Schwellung außen schon deutlich
größer geworden, für meine Mitmenschen auf den ersten Blick nicht sichtbar, aber ich habe den
Buckel deutlich gesehen. Zu dem besagten Termin wurde letztendlich auch schon eine Probe
entnommen und eingeschickt. 10 Tage später, beim Fäden ziehen, ist die Schwellung allerdings
überhaupt nicht zurückgegangen, eher noch stärker geworden und wir wurden an das nächst
größere Klinikum überwiesen. Am nächsten Tag sind wir dort direkt zur Mund-Kiefer-
Gesichtschirurgie gefahren, die mich gleich übers Wochenende da behalten wollte. Am selben Abend
hatte ich noch ein CT und drei Tage später, ein Montag, habe ich dann von der Oberärztin die
Diagnose erfahren. Von meinen ersten Symptomen im Februar bis zu meiner Diagnose Anfang Juni
sind somit ungefähr 3 ½ Monate vergangen.
Wie fühlt es sich an, das Osteosarkom im Unterkiefer sitzen zu haben?
Das Sarkom war steinhart und hat überhaupt nicht wehgetan. Ich konnte von außen darauf drücken
wie ich wollte, und hatte dennoch keine Schmerzen. Bis an den Punkt habe ich den Tumor gar nicht
gespürt. Das Einzige, wo er mich gestört hat, war nach dem Ziehen der Fäden von der ersten kleinen
Zahn-OP. Danach hatte er den Freiraum in meinen Mund zu gelangen und ich habe gemerkt, dass ich
auf dem mir damals noch unbekannten Gewebe herumkaue – beziehungsweise nicht wirklich kauen
konnte, weil ich das Essen gar nicht richtig zwischen die Zähne bekommen habe. Ein absolut
gruseliger Gedanke, so im Nachhinein.
Wie verlief Deine Chemotherapie und wie erging es Dir in dieser Zeit mit dem Kauen,
Trinken, Schmecken?
Die allererste Chemo habe ich als eine der Heftigsten in Erinnerung. Mir war dauerhaft übel und ich
konnte kaum was im Magen behalten. Es hat schon gereicht sich in das ein Meter entfernte Bad zu
schleppen, damit der Magen wieder rebellierte. In der Zeit war kauen noch sehr schwierig, da der
Tumor zu dem Zeitpunkt noch im Mundbereich war und ich somit nur flüssiges so richtig essen
konnte. Später, nach jeder OP, hatte ich zudem eine Magensonde, über die ich in der ersten Zeit
ernährt wurde. Sobald sie raus kam, durfte ich mit Suppen anfangen und blieb auch für 1-2 Wochen
dabei. Dann konnte ich etappenweise Brei dazu nehmen, bis ich nach ein paar Monaten die ersten
Bisse von weichem Essen nehmen durfte. Getrunken habe ich sehr lange nur mit Strohhalm, da ich
mir erst wieder antrainieren musste, wie ich die taube Lippe halten muss, damit das Wasser im Mund
bleibt.
Ich denke die Chemo hat einiges am Geschmack verändert, beispielsweise konnte ich lange das
Gericht, was ich vor meiner ersten Chemo noch gegessen habe, nicht mehr riechen oder gar essen,
ohne dass mir davon direkt schlecht geworden ist. Manche Medikamente, die ich als Suspension
einnehmen musste, haben für mich absolut ekelhaft geschmeckt und nachdem ich die Krankenhaus-
Suppen schon x-mal wieder von vorne durchgegangen bin, konnte ich auch die nicht mehr sehen und
habe Suppen oder weiche Kost von Zuhause mit in die Klinik genommen.
Wie hat der Tumor auf die Chemotherapie reagiert (hat sich verkleinert?)?
Glücklicherweise hat mein Tumor sehr gut auf die Chemotherapie angesprochen und sich schon nach
den ersten Therapien verkleinert. Dadurch konnte ich erstmal wieder kauen, da er sich etwas aus
meinem Mundraum zurückgezogen hat. Über die ersten beiden Zyklen vor der OP hat er sich dann so
sehr zurückgebildet, dass er dann auch operabel wurde, was vorher nicht der Fall war.
Normalerweise geht man mit seinem Knochensarkom ja zum Tumororthopäden. Doch du
warst Patientin in der Oralchirurgie. Gibt es dafür eine eigene Spezialisierung für
Kiefertumoren?
Nach meinem Wissensstand nicht – meine Tumoroperationen wurden von Mund-Kiefer-
Gesichtschirurgen in Zusammenarbeit mit Plastischen Chirurgen durchgeführt, die zu dem Kopf-Hals-
Tumorzentrum meiner Klinik gehören. Allerdings sind sie auch für viele andere Erkrankungen oder
Frakturen im Kieferbereich zuständig. Die Chemotherapie wurde von der Internistischen Onkologie
übernommen, die aber auch Tumore in anderen Regionen behandelt.
Was wurde bei Deinem operativen Eingriff alles gemacht? Hast du ein Implantat bekommen?
Ging alles gut?
Leider hatte ich nach meinen Eingriffen immer wieder Probleme während des Heilungsprozesses,
weshalb Folgeoperationen notwendig waren. In der ersten OP im August 2023 wurde der Tumor mit
einem guten Sicherheitsabstand entfernt und das linke Wadenbein als Kieferersatz rekonstruiert. 2
Wochen später ist die dazugehörige Hautinsel leider abgestorben und wir mussten einen
Radialislappen vom linken Unterarm in den Mund transplantieren, damit der Defekt dort gedeckt
werden kann. Im Oktober 2023 ist die Titanplatte durch die Haut nach außen durchgebrochen. Man
hat einfach das Metall von außen sehen können. Mir wurde gesagt, dass wir in der OP schauen
müssen, was wir von dem Knochen retten können, allerdings waren die Chancen nicht sehr noch.
Letztendlich konnten wir nur den Kinnbereich erhalten und mussten den ganzen neuen
Kieferknochen wieder entfernen und mit einer neuen Titanplatte ersetzen. Die Wundheilung war in
dieser Zeit im November auch nicht wirklich gut, weshalb die Naht wieder auf ging und wir nochmal
drüber nähen mussten. Zwischen Weihnachten und Silvester 2023 ist diese Titanplatte erneut durch
die Haut gekommen. Ich hab mich wie im falschen Film gefühlt. Wir haben dann beschlossen, die
Platte im neuen Jahr raus zu nehmen, damit die OP Wunden erstmal richtig heilen und wir die Chemo
fortsetzen können, da ich durch die ganzen Zwischenfälle schon einiges an Verzögerung drin hatte.
Über ein Jahr bin ich dann mit einem halben Unterkiefer durch die Welt gegangen; eine neue
Situation, die für mich bis dahin unvorstellbar war. Aber irgendwie hat es funktioniert und im März
2025 war es dann endlich soweit: Wir haben einen neuen Versuch gewagt und die andere Fibula von
der rechten Seite als Kiefer eingebaut - wieder mit einer Hautinsel. Auch diese hat leider wegen
schwacher Durchblutung nicht anwachsen wollen. Ein Déjà-vu wurde zur Realität, als nach genau
demselben Zeitabstand zur Operation das gleiche Gewebe erneut abstarb. Diese Zeit war schrecklich
– darauf zu hoffen dass alles gut geht und dann doch wieder ein neuer Rückschlag kommt. Zum Glück
war der Defekt außen und man konnte ihn in der letzten OP gut verschließen. Bis jetzt sieht es gut
aus mit meinem Knochen, ich hoffe einfach, dass es jetzt auch so bleibt. Das alles fühlt sich so an wie
ein Marathon durch einen Wald, bei dem man endlich das Ziel sieht und man einfach nur hofft, dass
man aufhört über Wurzeln zu stolpern.
Über Zahnimplantate können wir jetzt aber noch nicht wirklich reden, der Knochen muss erstmal
richtig einheilen und der Rest ist noch Zukunftsmusik.
Welche Einschränkungen begleiten Dich seither?
Dadurch dass mir nun zwei Wadenbeine fehlen, darf ich keinen Leistungssport mehr machen. Mir
fällt vor allem auf, dass mir nun mal die Muskeln des Wadenbeins fehlen und dadurch andere
Muskeln neu trainiert werden müssen, damit das Sprunggelenk genügend Stabilität bekommt. Zum
Beispiel fällt es mir schwer, das Gleichgewicht beim Balancieren zu halten oder dass sich manchmal
nach langem Sitzen, Liegen oder Stehen einfach alles eingerostet fühlt.
Im Gesicht sind es zum einen die Stellen am Kinn, an der Lippe und im Kieferbereich, die taub sind
und wodurch man es einfach nicht mitbekommt, wenn dort zum Beispiel Essen hängen bleibt.
Außerdem ist die Bewegung der Unterlippe eingeschränkt, was mir vor allem beim Trinken auffällt,
wenn der Becherrand zu dick ist oder die Flaschenöffnung zu klein und ich den Spalt nicht ganz
schließen kann.
Das gesunde Gelenk auf der linken Seite war bisher immer stark belastet und knackt immer mal, ich
hoffe das verändert sich noch mit der Zeit, sobald das neue Gelenk richtig eingewachsen ist. Ich bin
auch noch vorsichtig mit dem Kauen, was auch nur auf der linken Seite geht, da mir rechts unten
noch immer die Zähne fehlen. Es dauert halt alles seine Zeit – aber ich bin dankbar dafür, dass ich
heute überhaupt an diesem Punkt stehen kann und sich langsam alles ins positive entwickelt.
Du warst ja nun auf Reha. Magst Du uns ein bisschen von Deinem Alltag dort erzählen und
was Du aus dieser Zeit für Dich mitgenommen hast?
Ein typischer Tag fing für alle um acht zum gemeinsamen Frühstück im Speisesaal an. Anschließend
hatte jeder seinen individuellen Therapieplan für den jeweiligen Tag. Beispielsweise ging es für mich
als erstes zur Lymphdrainage und anschließend zu einem orthopädischen Konsil. Dreimal die Woche
hatten wir auch gemeinsam Sport, die einen waren beispielsweise in der Turnhalle Volleyball spielen,
während die anderen währenddessen an der Kletterwand oder im Fitnessraum waren. Nach einer
Einheit haben wir uns dann alle zu einer gemeinsamen Aktivität in der Halle getroffen. Das
Mittagessen haben wir wieder zusammen verbracht und konnten uns immer am Tag vorher zwischen
zwei Mahlzeiten entscheiden. Nach der Mittagsruhe ging es mit den Terminen weiter – zum Beispiel
mit einem Einzelgespräch mit seinem Betreuer oder gemeinsam in der Gruppe. Viele hatten auch
Physio- oder Ergotherapie verordnet bekommen - andere hatten stattdessen Sporttherapie. Wer
gerade keine Termine hatte, konnte immer in den zur freien Verfügung stehenden Werkraum gehen
und seiner Kreativität freien Lauf lassen. Regelmäßig gab es auch sogenannte Werkraumfenster, in
dem einer der Betreuer spezielle Angebote mit uns gemacht hat – dazu gehörten zum Beispiel das
Batiken von T-Shirts, Kerzengießen oder auch die Herstellung von eigenen kleinen Shampoos und soo
so vieles mehr. Ich kann gar nicht alle Angebote die wir hatten aufzählen, dafür reicht die Seite nicht,
aber solche Aktivitäten wie Klettern im Hochseilgarten, Ausflüge zu den Alpakas, Bowlingabende
oder Bogenschießen sind nur ein paar Beispiele aus diesem vielfältigen Angebot. Nach einem
gemeinsamen Abendessen waren die Abende immer gut gefüllt; wer mal eine Pause brauchte, hatte
immer die Möglichkeit, sich diese auch zu nehmen.
Ich habe viele positive Erfahrungen aus der Zeit mitgenommen, viel über mich gelernt und wie ich
bestimmte Tipps und Tricks auch zuhause umsetzen kann. Ich habe soo liebe Menschen
kennenlernen dürfen, zu einigen habe ich auch heute noch Kontakt und wir freuen uns wie kleine
Kinder wenn es wieder ein Update zur Haarlänge gibt. Die Betreuer haben mir in meiner beruflichen
Situation enorm weiter geholfen und dabei ermutigt, mich zum Beispiel um meine Praktika zu
kümmern. Für mich war diese Zeit eine wundervolle Erfahrung, mich weiterentwickeln und neue
Dinge ausprobieren zu können, die ich zuhause niemals getestet hätte – wer hätte gedacht, dass
Zumba mit dem richtigen Lehrer richtig Spaß machen kann?
Es gibt durchaus junge Menschen, die sich vor einem Reha-Aufenthalt scheuen, gar Angst
davor haben. Hast Du hier ein paar Worte, die diese Menschen bei ihren Ängsten abholen
könnten?
Traut euch diesen Schritt zu gehen, er kann euch nicht nur helfen äußerlich sondern auch innerlich
weiter zu heilen. Ich habe dort Freunde fürs Leben gefunden, die ich nun nicht mehr missen will. Mir
hat es sehr geholfen, mich mit Gleichalterigen austauschen zu können, da sich doch oft die
Lebenssituationen ähneln und man sich nicht mehr so allein mit seinen Ängsten und Sorgen fühlt und
wirklich verstanden wird. Dadurch, dass das Angebot für junge Erwachsene zugeschnitten ist, ´kann
es eigentlich auch nie langweilig werden, da man immer etwas Spannendes zu tun hat. Ich war auf
der Katharinenhöhe im Schwarzwald und kann euch diese nur wärmstens ans Herz legen.
Vielen Betroffenen fällt es schwer über ihr Schicksal in der Öffentlichkeit zu sprechen.
Wieso hast Du Dich dafür entschieden Deine Geschichte offen zu erzählen?
Wenn ich Freunden oder Bekannten von meiner Krebsart erzählt habe, konnten die Wenigsten etwas
mit dem Wort „Sarkom“ so wirklich anfangen. Woher auch, schließlich weiß man durch ihre
Seltenheit oft kaum etwas über diese Krebsart, mir ging es vorher ja nicht anders. Dass jedoch dieses
Osteosarkom nun aber im Kiefer auftauchen kann, war wirklich für fast jeden unbekannt. Ich habe
ganz ganz wenige Menschen kennengelernt die die gleiche Diagnose für diese Körperstelle haben.
Deshalb möchte ich darauf aufmerksam machen und Bewusstsein dafür schaffen, dass nur, weil eine
Lokalisation bei einer prozentualen Aufteilung nicht aufgeführt wird, nicht trotzdem dort auftreten
kann. Ich möchte zeigen, was trotz der Seltenheit durch die Medizin schon alles möglich ist und wo es
dennoch noch immer Baustellen gibt. Und ich möchte zeigen, dass man bei solch einer Diagnose
nicht den Kopf in den Sand stecken und weiter für sich kämpfen sollte. Auch wenn es Rückschläge
gibt und es sich oft so anfühlt, als würde man wieder in eine Sackgasse laufen. Das Leben ist
lebenswert, jede einzelne Minute. Und auch wenn ich mich manchmal durch die Blicke anderer
Menschen auf die vielen Narben unwohl fühle – ich darf nie vergessen, dass jede einzelne eine
Geschichte erzählt, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin.
Wie bist Du auf die Initiative Menschen und der Knochenkrebs gestoßen und was wünschst
Du Dir als nun aktives Mitglied?
Ich habe aktiv nach Kanälen auf Instagram gesucht und bin darüber auf die Seite von sarkome.de
gestoßen und daraufhin wurde mir dieser Kanal vorgeschlagen. Ich wünsche mir, dass mehr auf
Reha-Einrichtungen für junge Menschen aufmerksam gemacht wird, da ich selbst sehr lange suchen
musste, bis ich auf solche gestoßen bin. Von meiner Klinik habe ich nur eine Liste bekommen für
Einrichtungen, die nicht mal im Ansatz eine Spezialisierung für Sarkome oder junge Menschen hatten.
Und das, obwohl die richtige Reha mit den passenden Therapien ebenso einen großen Einfluss auf
die eigene Heilung hat.
Liebe Sophia, vielen herzlichen Dank für Deine offenen und warmen Worte! Schön, dass Du ein Teil von uns bist ❤️