Edl: Herr Dr. Müller-Broich, Wirbelsäulenmetastasen gelten bis heute als schwer bis gar nicht heilbar. Sie sind als Spezialist in der Forschung tätig. Was macht es so schwer diese Metastasen erfolgsversprechende behandeln zu können?
Dr. Müller-Broich: Etwa jeder vierte Todesfall in Deutschland ist durch Krebs bedingt. Im Rahmen von Obduktionen zeigen sich bei 40% der Verstorbenen metastatische Absiedelungen in der Wirbelsäule. Viele Patienten erleiden aufgrund von Metastasen schmerzhafte Wirbelkörperkompressionsfrakturen, dabei sind dies häufig Zufallsbefunde, da das Tumorgrundleiden oft bis zur Fraktur noch nicht bekannt war.
Dabei ist die Erkennung der Grunderkrankung, also des streuenden Tumors das wichtigste Kriterium für die Einteilung und Klassifizierung des Tumors und damit auch der weiterführenden Behandlung. Als Wirbelsäulenspezialist ist man daher konsiliarisch für die Behandlung von Komplikationen der Metastasen zuständig, da die Hauptbehandlung durch die onkologischen Fachdisziplinen erfolgt. Dennoch können wir durch erste Biopsien und Bereitstellung von Probenmaterial die wichtigen ersten Hinweise zur Behandlung liefern und natürlich auch neurologische Ausfälle wie z.B. Schmerzen und Lähmungen lindern oder beseitigen und auch Frakturen adäquat versorgen und damit einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung oder dem Erhalt der Lebensqualität liefern.
In vielen Bereichen ist die Behandlung des Tumorgrundleidens weit vorangeschritten und entwickelt sich z.B. in der Brustkrebstherapie oder des Lungenkrebses rasant, sehr differenziert weiter.
Was sind die Schwerpunkte Ihrer Forschung und wie sieht der aktuelle Stand aus?
Im Rahmen der AO Spine und der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft wird (wie in vielen anderen wissenschaftlichen Fachgesellschaften auch) vor allem daran gearbeitet, eine Vereinheitlichung und Standardisierung zur Behandlung von Metastasen, aber auch primären (Knochen-)Wirbelsäulentumoren zu erarbeiten. Hierzu gibt es verschiedene Arbeitsgruppen die sich mit jeweils eigenen Fragestellungen beschäftigen und Publikationen gemeinsam dazu erarbeiten. Ich selber beschäftige mich mit Radiofrequenztumorablation von Metastasen in Kombination mit stabilisierenden Verfahren wie z.B. Kyphoplastien oder Schrauben-Stab-Instrumentationen, gerne auch mit modernen Karbonfasermaterialien, die eine nachfolgende Strahlentherapie erleichtern und Dosisreduktionen zulassen.
Ist die Malignität bei dieser Art von Knochentumoren höher, als bei primären Knochentumoren?
Generell ist die Behandlung abhängig von dem speziellen Typ der Erkrankung. Hier reicht die Bandbreite von benignen, also gutartigen Tumoren bis zu hochaggressiven, malignen Tumoren.
Primäre Knochentumore können ebenfalls gut- oder bösärtig sein, dies muß im Einzelfall geprüft werden. Dazu gehören z.B. die Wahrscheinlichkeit des Befalls von benachbarten Geweben oder Metastasenbildung, die histopathologische Einteilung, die Größe und weitere andere wichtige Faktoren. An der Wirbelsäule ist auch entscheidend ob die Stabilität des Wirbelkörpers gefährdet ist und ob sich der Tumor in Richtung des Rückenmarkes ausdehnt und dort schwerwiegende Folgen wie z.B. Lähmungen oder gar ein Querschnittssyndrom verursachen kann. Dafür gibt es auch verschiedene Scores die zur Standardisierung Hinweise geben als Hilfestellung für einen Therapieansatz dienen.
Der häufigste Primärtumor, der Absiedelungen in der Wirbelsäule verursacht, ist das Prostatakarzinom, gefolgt vom Mammakarzinom - sprich zwei geschlechterspezifische Drüsenerkrankungen. Gibt es Anhaltspunkte, dass hier Hormone eine wesentliche Rolle spielen und somit Wirbelsäulenmetastasen begünstigen?
Je nachdem, welche Studie man liest, gibt es verschiedene Tumoren die sehr gerne Metastasen an der Wirbelsäule verursachen. Die Wirbelsäule ist gut druchblutet und so ist es sehr verständlich, dass Metastasen die über das Blut verteilt werden sehr häufig in der Wirbelsäule sesshaft werden. (s.o.)
Hormone, Genmutationen und viele andere Faktoren spielen eine wesentliche Rolle in der Behandlung von Prostata- und Mammakarzinom. Daher werden auch routinemäßig schon seit langem Hormonrezeptorstatusbestimmung anhand von Biopsiematerial z.B. auch aus der Biopsie von befallenen Wirbelkörper bestimmt. Ähnliches gilt für Gensequenzierungen.
Inwiefern arbeiten orthopädische Wirbelsäulenspezialisten und Neurochirurgen zusammen?
Es kommt immer auf das Setting in den einzelnen Krankenhäusern oder auch der Tumorboards an. Und natürlich auch auf die Art des Tumors, um den es im Einzelfall geht. Bei intramedullären Tumoren bzw. intraduralen Tumoren des Rückenmarkes (also Tumoren die sich innerhalb des zentralen Nervensystems entwickeln) sind ganz klar die Kollegen der Neurochirurgie gefordert und aufgrund Ihrer Ausbildung und Erfahrung die richtigen Ansprechpartner. Bei den übrigen Tumormanifestationen, die z. B. die Stabilität der Wirbelsäule gefährden oder die die Rückenmarkshaut nicht durchbrechen (eine natürliche Barriere in vielen Fällen) sind alle an der Wirbelsäule tätigen Disziplinen gefragt. Das schließt auch die unfallchirurgischen Wirbelsäulenchirurgen mit ein.
Schlussendlich muss gemeinsam im Tumorboard die beste Option für den Patienten herausgearbeitet werden und dann konsequent umgesetzt werden. Ob das nun der Neurochirurg, Orthopäde oder Unfallchirurg ist sehe ich relativ leidenschaftslos. Es kommt auf die lokalen Gegebenheiten an und natürlich den einzelnen Kollegen. Auch ich leite Patienten manchmal an andere Kollegen mit besseren Ressourcen oder größeren Teams weiter, da sie dort besser aufgehoben sind.
Ab wann ist eine Operation ratsam und welches Prozedere kommt auf den Patienten zu?
Es ist immer eine Einzelfallentscheidung und hängt vom Erkrankungsbild, dem Gesundheitszustand, dem Tumor und natürlich auch dem Alter und den Wünschen des Patienten ab. Auch die zu erwartende Lebenserwartung ist ein wichtiger Punkt, der sich aber trotz aller Versuche nach wie vor nicht zuverlässig abschätzen läßt.
Oftmals sieht die Therapie eine Bestrahlung vor. Welche Risiken birgt diese und welche Verfahren können angewendet werden?
Ich bin kein Strahlentherapeut, aber auch auf diesem Fachgebiet haben sich in den letzten 10 Jahren tolle Entwicklungen in Bezug auf Strahlendosis und -planung oder auch Art der Strahlung ergeben. Als Chirurg ist es in den meisten Fällen wichtig vor einer Bestrahlung zu operieren, um die Operation und auch die folgende Wundheilung nicht durch bestrahltes, vernarbendes oder nicht heilendes Gewebe als Folge der Bestrahlung zu gefährden. Wir empfehlen i. d. R. eine Bestrahlungskarenz von ca. 2-3 Wochen nach einer erfolgten Operation, so dass die wesentliche Wundheilung erfolgt ist und eine Bestrahlung nicht zum Wiederaufreissen von Wunden führt. Durch die Nutzung von minmalinvasiveren Zugängen und von neuen Karbonfasermaterialien können Bestrahlungsplanungen vereinfacht und damit Zeit gespart werden. Gleichzeitig sind auch geringere Dosismengen erforderlich, so dass die Gesamtstrahlenbelastung und damit auch Nebenwirkungen für die Patienten reduziert werden. Dies hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten.
Werden Kinder, oder Jugendliche anders therapiert, als Erwachsene – Stichwort „Wachstum“?
Das Wachstum spielt immer eine sehr große Rolle und Kinder sollten an spezielle darauf ausgelegte Kliniken verwiesen werden. In unserer Region wäre dies zum Beispiel die Kinderklinik in St. Augustin oder die Universitätsklinik Bonn.
Ihr Arbeitsplatz, das Marienhaus Klinikum in Bad Neuenahr, bietet mit seiner tumororthopädischen Abteilung beste Voraussetzung für die Therapie von Tumoren des muskuloskelettalen Systems. Welche Behandlungsoptionen können Sie Patienten mit Wirbelsäulenmetastasen hier anbieten?
Grundsätzlich behandeln wir alle Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems und strukturieren gerade die Klinik von Grund auf neu. Prof. Schmolders als Tumororthopäde mit herausragender Expertise und ich als Spezialist für Wirbelsäulentumore und -metastasen arbeiten dabei Hand in Hand und natürlich auch mit den übrigen Fachkollegen des Tumorboards eng zusammen. Ein kleineres Haus hat aufgrund der kurzen Wege und engen Kontakte diesbezüglich eine Menge Vorteile.
Grundsätzlich behandele ich alle Arten von Tumoren und Metastasen an der Wirbelsäule. Dazu nutze ich alle Verfahren, die geeignet sind um die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten wiederherzustellen oder zu verbessern. Dies sind stabilisierende Techniken mit Schrauben-Stab-Systemen, Kyphoplastien, Radiofrequenztumorablationen oder auch Wirbelkörperersatzoperationen. Ganz wichtig sind Dekompressionen des Rückenmarks bei Lähmungen (ähnlich wie bei Bandscheibenvorfällen) oder Schmerzen. Natürlich führen wir auch regelmäßig auf Wunsch von anderen Disziplinen erste Knochenbiopsien für die histo-pathologischen Untersuchungen durch, damit der Tumor eindeutig klassifiziert und dann entsprechend zielgerichtet behandelt werden kann.
Herr Dr. Müller-Broich, ich bedanke mich für das Gespräch!
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